Egon Friedells kulturhistorische Christologie. Zur protestantischen Aufklärung hegelscher Bildung
Dissertationsprojekt Andreas Burri
Die Dissertation bildet eine umfassende Interpretation zur literarischen Arbeit Egon Friedells (1878–1938), spezifisch zu seiner Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg (1927–1931) und zu seiner Kulturgeschichte des Altertums. Leben und Legende der vorchristlichen Seele (1936–1938). Trotz ihrer Popularität sind Friedells Kulturgeschichten nur sporadisch erforscht; dies nahezu ausschließlich in der Literaturwissenschaft wegen ihres ästhetischen Glanzes sowie wegen Friedells extravaganten Lebens als homme de lettres und Schauspieler. Unter diesen Studien finden sich historische Aufarbeitungen zu seiner Biografie und zur Entstehung seiner Schriften. Die wenigen systematischen Interpretationen gehen aber nicht (ausreichend) auf die Hauptmotive seiner Kulturgeschichten und deren ideengeschichtlichen Wurzeln ein: Durch sein ganzes Schreiben hindurch bezieht sich Friedell, der vom Judentum zum Luthertum konvertierte, strukturell auf das Christentum, das er in seinen Kulturgeschichten und früheren Schriften –z. B. Die Judastragödie (1920, Uraufführung Burgtheater 1923) oder Das Jesusproblem (1921) – eingehend reflektiert. Dabei denkt er christologisch im Rahmen seiner Geschichts- und Kulturphilosophie bzw. -theologie, in deren Zentrum das Christusereignis bzw. der historische Jesus steht. Da dies nicht genügend beachtet worden ist, verweist die bisherige Forschung zu Friedell entsprechend auch nicht auf seinen programmatischen Nachbar: Hegel, einschlägig auf dessen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte und dessen theologische Jugendschriften. Die Dissertation weist auf, dass dieses Denken einen Kontext hat, der in der französisch- und deutschsprachigen Aufklärung seinen Anfang nimmt und in Hegel einen Kulminationspunkt findet, der bis ans Ende der Moderne wirksam ist. Die Dissertation nennt dies hegelsche Bildung und wird diesen Begriff problemgeschichtlich von der Aufklärung an bis hin zu Friedell ausführen. Von dieser Bildung ist besonders die protestantische Theologie ergriffen; sie ist aber nicht nur bezeichnend für Baur und Strauß, sondern artikuliert generell das kulturhistorische Bestreben der Neuzeit und der Moderne, historische Epochen mit deren konkreten Ereignissen und Individuen geschichtsphilosophisch bzw. -theologisch zu deuten. Die Dissertation argumentiert, dass Friedells literarisches Schaffen erst in diesem problemgeschichtlichen Kontext der protestantischen Aufklärung hegelscher Bildung interpretiert werden kann. Gleichzeitig will sie damit auf jene Kulturgeschichte aufmerksam machen, die in Neuzeit und Moderne noch die entsprechend methodische wie inhaltliche Nähe zu den Fächern der Theologie und Philosophie hatte und die als solche trotz der gegenwärtigen terminologischen Umwandlung auf dem Buchmarkt ihren Ort im akademischen Diskurs hat. Zudem weisen weite Teile des neuzeitlich-modernen kulturhistorischen Denkens eine aggressive Haltung gegen das Judentum auf. Diese findet sich auch bei Friedell, was die Dissertation eingehend thematisiert. Daneben will sie aber auch zeigen, dass Friedells origineller Umgang mit der protestantischen Aufklärung hegelscher Bildung Potential enthält, gewisse uns noch heute angehende systematische respektive soziopolitische Probleme der Neuzeit und Moderne zu überwinden. Grundlegend dafür sind Friedells Demut und (Selbst-)Humor.
Kurzvita
Kurzvita
Andreas Burri studierte in Fribourg und Basel Evangelische wie Katholische Theologie und Philosophie. Er hatte wissenschaftliche Assistenzen am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie Zürich, am Departement für Kirchengeschichte und Patristik Fribourg und am Institut für Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft Graz inne. Seit August 2021 arbeitet er am Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien bei Prof. Dr. Christian Danz: zuerst als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter bei der Edition Paul Tillich’s Correspondence (1887–1933), seit Mai 2022 als Universitätsassistent Prae Doc. Seine Forschung gilt der Kulturgeschichte der römischen Antike und der französischsprachigen Neuzeit sowie der Praxis und Theorie dieses Faches selbst in Neuzeit, Moderne und Gegenwart. In seiner kulturhistorischen Forschung konzentriert er sich namentlich auf die Soteriologie und die Christologie.