Geschichtlicher Überblick

Um die Ausbildung protestantischer Theologen im Habsburger Reich, die bis dato vor allem an der Universität Jena studierten, kontrollieren zu können, wurde die protestantisch-theologische Lehranstalt in Wien eingerichtet, die 1821 ihren Lehrbetrieb aufnahm. Bei der Besetzung der Lehrstühle trug man von Anfang an der konfessionellen Lage in der Habsburgermonarchie Rechnung. Dementsprechend erhielt die lutherische Konfession einen eigenen Lehrstuhl für Dogmatik und Symbolik, später umbenannt in Systematische Theologie A.B.

In den Anfangsjahren der protestantischen Lehranstalt orientierte sich die Besetzung des Lehrstuhls nicht an der Qualität der Forschung. Entscheidend war die Loyalität gegenüber dem Staat. Das änderte sich erst ab den 1850er Jahren. Fortan lehrten auch eine Reihe von prominenten deutschen Theologen an der Wiener Fakultät, von denen einige wie Richard Lipsius nur für kurze Zeit blieben. Erstaunlich viele an der liberalen Jenaer Theologischen Fakultät ausgebildete Theologen lehrten in der Donaumetropole. Neben liberalen wirkten konservative Fachvertreter an der Fakultät und verliehen dieser ihr Profil. Wichtige, den Fachdiskurs prägende Wiener Professoren waren Richard Lipsius, Wilhelm Dantine und Falk Wagner.

Lehrstuhlinhaber seit 1822

Daniel Kanka

Geboren am 15. 12. 1776 in Botzdorf (Batizovce, Slowakei). Philosophisches sowie theologisches Studium in Preßburg, sowie seit 1799 an der Universität Wittenberg. Anschließend Privatdozent für Syntax und Rhetorik in Štítnik (Slowakei), ab 1804 Rektor am Gymnasium in Schemnitz (Banská Štiavnica, Slowakei). Im Jahr 1822 Berufung nach Wien als erster Professor für lutherische Dogmatik an die k. k. protestantisch-theologische Lehranstalt. Ab 1844 im Ruhestand, gestorben am 31. 5. 1850 in Hinterbrühl bei Wien.

Wichtige Werke: De natura sermonis Hungarici euphonia, Posen 1817; De contemplatione mundi physica, metaphysico et morali earumque ad religionem habitu, Wien 1825.

 

Heinrich A. Stählin

Geboren am 6. 10. 1812 in der damaligen lutherischen Toleranzgemeinde Brünn. Ab 1830 Studium an der evangelisch-theologischen Lehranstalt in Wien, Ordination zum Pfarrer 1834 in seiner Heimatstadt. Anschließende philosophische Promotion an der Universität in Olmütz, sowie theologische Promotion an der preußischen Universität zu Königsberg. Am 13. Dezember 1845 Ernennung zum Professor der Dogmatik und Symbolik an der k. k. protestantisch-theologischen Lehranstalt in Wien durch Kaiser Ferdindand I. In den Studienjahren 1852-1853 Dekan, im Zeitraum 1854-1855 Prodekan der Fakultät. Gestorben am 10. 4. 1861 in Brünn.

Wichtige Werke: Für den Frieden unter den Christen beim Unterschiede der Glaubensbekenntnisse, Wien 1855; sowie Gelegenheitsschriften und Predigtsammlungen.

 

Richard A. Lipsius

Richard Adelbert Lipsius wurde am 14. 2. 1830 in Gera geboren. Er wirkte ab September 1861 als ordentlicher Professor der evangelischen Dogmatik und Symbolik A.B. in Wien. Mitglied des Unterrichtsrats und Mitbegründer wie -herausgeber der Protestantischen Blätter für das evangelische Oesterreich. 1865 wurde er als Professor für Systematische Theologie an die Universität Kiel berufen, 1871 an die Universität Jena, deren Rektor er im Sommersemester 1877 war. Lipsius starb am 19. 8. 1892.

Wichtige Werke: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, Braunschweig 1876; Die apocryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchristlichen Literaturgeschichte, Braunschweig 1884–1890; Glauben und Wissen. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze von Richard Adelbert Lipsius, Berlin 1897.

 

Gustav Wilhelm Frank

Gustav Wilhelm Frank, geboren am 25. 9. 1832 in Schleiz im Vogtland, studierte in Jena Theologie, wo er Schüler von Karl von Hase war. Er wurde 1867 zum ordentlichen Professor der Dogmatik und Symbolik A.B. in Wien ernannt und wirkte über dreieinhalb Jahrzehnte an der Fakultät. Frank war lange Zeit Vorsitzender der Prüfungskommission für evangelische Theologie und Oberkirchenrat der evangelischen Kirche A.B. Sein Hauptwerk ist die vierbändige Geschichte der protestantischen Theologie (1862–1905). Er starb am 24. 9. 1904 in Hinterbrühl bei Wien.

Wichtige Werke: Die Geschichte der protestantischen Theologie, Leipzig 1862–1905; Johann Major der Wittenberger Poet. Ein Beitrag zur Geschichte der protestantischen Theologie und des Humanismus im XVI. Jahrhundert, Halle 1863.

 

Johannes Kunze

Geboren am 31. 8. 1865 in Dittmannsdorf (Sachsen). Studium der Theologie an den Universitäten in Leipzig und Erlangen 1884-1887. Seit 1888 Lehrer in Annaberg, sowie ab 1889 Oberlehrer am Wettiner Gymnasium in Dresden und anschließend in Leipzig. Theologische Promotion 1891 an der Universität Leipzig über die Gotteslehre des Irenaeus, 1894 Habilitation ebenda. 1899 Ernennung zum a.o. Prof. für Theologie an der Universität Leipzig, sowie 1903-1905 ordentlicher Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Ab 1905 Lehrtätigkeit an der Universität Greifswald im Fach Systematische Theologie und bis 1911 auch im Fach Praktische Theologie. Gestorben am 20. 7. 1927.

Wichtige Werke: Das Christentum Luthers in seiner Stellung zum natürlichen Leben, Leipzig 1918; Symbolik. Konfessions- und Sektenkunde, Leipzig 1922.

 

Karl Beth

Geboren am 1. 12. 1872 in Förderstedt (Sachsen). Studien der evangelischen Theologie und Philosophie an den Universitäten Tübingen und Berlin. In Berlin wurde er 1898 zum Dr. phil. promoviert, ebendort habilitierte er sich 1901 im Fach Systematische Theologie. 1908-1938 ordentliche Professur für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. In den Studienjahren 1927/28, 1933/34 und 1937/38 Dekan. 1922 war er Mitbegründer eines Forschungsinstituts für Religionspsychologie in Wien, dessen Direktor er 1924 wurde. 1927 folgte die Gründung der Internationalen religionspsychologischen Gesellschaft. 1938 von den Nationalsozialisten seiner Ämter enthoben, emigrierte er 1939 in die USA, wo er zwischen 1939 und 1945 Religionsphilosophie und -psychologie an der Universität Chicago (Illinois) lehrte. Am 9. 9. 1959 verstarb er in Chicago.

Wichtige Werke: Die orientalische Christenheit in den Mittelmeerländern, Berlin 1902; Die Wunder Jesu, Berlin 1905, 21914; Die Entwicklung des Christentums zur Universalreligion, Leipzig 1913; Religion und Magie bei den Naturvölkern. Ein religionsgeschichtlicher Beitrag zur psychologischen Grundlegung der religiösen Prinzipienlehre, Leipzig 1914, 21927.

 

Hans Wilhelm Schmidt

Schmidt wurde am 11. 2. 1903 in München geboren. Er studierte Theologie in Tübingen und Greifswald. 1926 wurde der Schüler Wilhelm Koepps in Greifswald promoviert und habilitierte sich dort ein Jahr später. Schmidt lehrte seit 1927 in Bethel, von 1934-1935 in Münster und von 1935-1939 in Bonn. Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP. 1939 wurde Schmidt als Professur für Systematische Theologie A.B. an die Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien berufen, an der er bis 1945 lehrte. Ab 1947 war er zunächst als Vikar und dann als Pfarrer in Bayern tätig. Am 15. 11. 1991 ist er in Riemerling bei München gestorben.

Wichtige Werke: Zeit und Ewigkeit. Die letzten Voraussetzungen der dialektischen Theologie, Gütersloh 1927; Die Christusfrage. Beitrag zur christlichen Geschichtsphilosophie, Gütersloh 1929.

 

Erwin Schneider

Geboren am 25. 3 1892 in Brünn, ab 1910 Studium der Philosophie und Theologie in Wien, Marburg und Halle a. d. Saale. 1914 Promotion zum Dr. phil. und 1917 zum Lic. theol. in Halle. Seit 1946 a.o. Professor und von 1948 bis 1963 ordentlicher Professor für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Dekan der Wiener Fakultät in den Jahren 1949/50, 1950/51, 1955/56, 1961/62; erster und bislang einziger evangelischer Theologe, der 1958/59 als Rektor der Universität Wien wirkte. Gestorben am 9. 9. 1969 in Wien.

Wichtige Werke: Religion als Erfahrung am „Worte Gottes“ nach Luther. Eine religionsphilosophische Studie, 1917.

 

Wilhelm Dantine

Am 6. 11. 1911 als Sohn eines Politikers und Rechtsanwalts in Leoben (Steiermark) geboren, studierte er in den Jahren 1930-1934 evangelische Theologie in Wien, Bonn und Erlangen. 1937-1948 Pfarrer in der oberösterreichischen Toleranzgemeinde Wallern, 1942 zum Kriegsdienst an der Ostfront eingezogen. Seit 1948 leitete er das Wiener Theologenheim. Neben seiner Tätigkeit im Theologenheim oblag ihm der Aufbau einer gesamt-österreichischen Studentengemeinde. 1950 wurde er mit einer Arbeit im Grenzgebiet von Systematischer Theologie und Praktischer Theologie zum Dr. theol. promoviert, 1955 folgte die Habilitation im Fach Systematische Theologie. 1963 Berufung zum ordentlichen Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. In den Studienjahren 1965/66, 1969/70, 1976-79 nahm er wiederholt die Agenden eines Dekans wahr. Er verstarb am 21. 5. 1981 in Wien.

Wichtige Werke: Über den protestantischen Menschen. Kritik und Erwartung, Hamburg 1959; Der heilige und der unheilige Geist. Über die Erneuerung der Urteilsfähigkeit, Stuttgart 1973; Versöhnung. Ein Grundmotiv christlichen Glaubens und Handelns, Gütersloh 1978, 21996; Recht aus Rechtfertigung. Ausgewählte rechtstheologische und kirchenrechtliche Aufsätze, Tübingen 1982.

 

Hermann Timm

Geboren am 21. 5. 1938 in Sieseby an der Schlei (heute Teil des Gemeindegebiets Thumby). Studium der evangelischen Theologie sowie Philosophie in Kiel, Berlin, Göttingen und Heidelberg. In Heidelberg wurde er zum Dr. theol. sowie zum Dr. phil. promoviert, 1976 folgte die Habilitation im Fach Systematische Theologie. 1982 bis 1987 Professur an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie von 1982 bis 1983 Wien. Von 1987 bis zu seiner Emeritierung 2003 lehrte Timm, dessen Arbeitsschwerpunkt vor allem im Bereich der theologischen Ästhetik liegt, schließlich an der LMU München.

Wichtige Werke: Zwischenfälle. Die religiöse Grundierung des All-Tags, Gütersloh 31986; Phänomenologie des Heiligen Geistes (2 Bde.), Gütersloh 1985/1992; Wie kommen wir ins nächste Jahrtausend? Die Religion vor dem Millennium des Geistes, Hannover 1998.

 

Ulrich Kühn

Geboren am 16. 3. 1932 in Halle/Saale. Von 1949 bis 1954 Studium der Theologie an der Universität Leipzig, mit anschließender Promotion (1958) sowie Habilitation (1963). 1964 Vikariat und Ordination in Leipzig, seit 1967 Dozent des kirchlichen Lehramtes am Berliner Sprachenkonvikt. Bereits 1969 folgte ein Lehrauftrag für Systematische Theologie am Theologischen Seminar Leipzig und vom 1. 12. 1983 bis zum 1. 4. 1987 schließlich das Ordinariat für Systematische Theologie A.B. an der Universität Wien, dessen dreijährige Laufzeit von vornherein vereinbart worden war. 1987 Rückkehr nach Leipzig, nebenher bis 1991 Honorarprofessor in Wien. 1997 wurde der Systematische Theologe mit Schwerpunkt Dogmatik und insbesondere Ökumenik emeritiert. Er starb am 29. 11. 2012 in Leipzig.

Wichtige Werke: Sakramente (Handbuch Systematischer Theologie, Bd. 11), Gütersloh 1985; Was Christen glauben. Das Glaubensbekenntnis erklärt, Leipzig 22004; Zum evangelisch-katholischen Dialog. Grundfragen einer ökumenischen Verständigung, Leipzig 2005.

 

Falk Wagner

Geboren am 25. 2. 1939 in Wien. Studium der Philosophie und Soziologie in Frankfurt a.M. (bei T.W. Adorno, B. Liebrucks und W. Cramer), später der Theologie in Mainz u.a. bei W. Pannenberg. 1969 wurde Wagner mit der Arbeit Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel (Gütersloh 1971) promoviert und 1972 erfolgte die Habilitation (Schleiermachers Dialektik, Gütersloh 1974). An der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München war Wagner bis 1988 tätig, zunächst als Privatdozent und später als Professor. 1988 erhielt er einen Ruf auf die Professur für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, wo er bis zu seinem Tod am 18. 11. 1998 wirkte. 1994/95 und 1995/96 war Wagner Dekan der Fakultät.

Wichtige Schriften: Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986; Was ist Theologie? Studien zu Begriff und Thema in der Neuzeit, Gütersloh 1989; Zur Revolutionierung des Gottesgedankens. Texte zu einer modernen philosophischen Theologie. Aus dem Nachlass hrsg. v. C. Danz/M. Murrmann-Kahl, Tübingen 2014.

 

Christian Danz

Geboren am 28. 9. 1962 in Pößneck (Thüringen). Von 1985 bis 1990 Studium der Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Jena. 1994 Promotion und 1999 Habilitation an der Universität Jena. Von 2000-2002 Vertretung der Professur für Systematische Theologie an der Universität Essen und seit 2002 Professor für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Von 2010 bis 2014 Dekan der Fakultät. Seit 2006 Vorsitzender der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft e.V. Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses des Projektes „Schelling – Edition und Archiv“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Wichtige Schriften: Systematische Theologie, Tübingen 2016; Gottes Geist. Eine Pneumatologie, Tübingen 2019; Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum. Eine christologische und religionstheologische Skizze, Tübingen 2020.

Profil des Lehrstuhls

Die 12 Professoren, die seit 1822 den Lehrstuhl für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien inne hatten, repräsentieren die Geschichte des Faches, das selbst erst in der Aufklärung im Zuge der Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen entstanden ist. Zum klassischen Fächerspektrum der Systematischen Theologie an protestantischen Fakultäten gehören Religionsphilosophie, Dogmatik und Ethik. Gegenstand des Faches ist die christliche Religion. Systematische Theologie thematisiert diese vor dem Hintergrund des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels als eine eigene Form der Kommunikation. Im Unterschied zu anderen mit Religion befassten Wissenschaften beschreibt die Systematische Theologie die christliche Religion aus der Sicht der sie Praktizierenden. Auf diese Weise thematisiert sie, wie die christliche Religion als Weitergabe der religiösen Erinnerung an Jesus Christus in ihrer Selbstsicht als Religion funktioniert.

Im Fokus der gegenwärtigen Forschung und Lehre des Lehrstuhls für Systematische Theologie A.B. stehen: 1. Dogmatik unter den veränderten Bedingungen der Moderne, 2. Religion und Kultur in pluralistischen Gesellschaften/Religionstheologie, 3. Projekte zu Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und 4. Projekte zu Paul Tillich. An der Universität Wien ist die Arbeit des Lehrstuhls mit der Forschungsplattform ‚Religion and Transformation‘ sowie dem Institut für Philosophie vernetzt.